#18
--> Imperiales Oberkommando

Ah, der große Ball. Die Versammlung von Menschen, die vorgaben, etwas feiern zu wollen, obgleich viele der hier Anwesenden der Meinung waren, dass die Freiwilligkeit bei dieser Festivität ohnehin keine Rolle spielte, weil man verpflichtet wäre zu erscheinen. War das so? Natürlich nicht. Das Imperium hätte Abwesende kaum mit der Militärpolizei abgeholt und ihre Anwesenheit an dieser Veranstaltung erzwungen. Und das war allen klar. Jeder war freiwillig hier, selbst wenn es einen vermeintlichen psychischen Zwang zur Anwesenheit gegeben hätte. Einige mochten hier sein, weil sie vermuteten, dass die Abwesenheit einen fragwürdigen Eintrag in die eigene Akte bedeuten würde. Andere strahlten auf Cassio eine Aura der Gelassenheit und der Zufriedenheit aus, überwiegend solche, die in kleinen Offiziersgruppen zusammenstanden und anhand von Mimik und Gestik recht gut ersichtlich wohl kaum über die derzeitige militärische Lage diskutierten. Doch das Interessante war, dass man lediglich ein paar andere, zufällige Gesichter studieren musste, um zu erkennen, dass sich manche auch mehr als unwohl fühlten und eiligst den Anschein zu erwecken versuchten, genau diesen Anschein doch zu vermeiden. Amüsante Heuchler. Cassio seinerseits hatte überhaupt keine schlechte Laune. Im Gegenteil, merkwürdigerweise. Seit er hier war, hatte ihn eine eigenartige Hochstimmung erfasst. Warum? Es war das letzte Mal. All dieser politische Dreck, dieses verachtenswerte Zurschaulaufen aufgeblasener Egos, die nur dann hervorgekrochen waren, wenn sie wieder Beachtung für notwendig hielten und bei solcher Gelegenheit schließlich brav schwanzwedelnd und demütig angekrochen kamen, ja all das endete für ihn also mit dem heutigen Tage. Es war vorbei, für immer. All die dickwanstigen Fratzen, all die speichelleckenden Würmer würde er nicht wiedersehen. Es war demnach eigentlich unmöglich, schlechte Laune haben zu können. Alles, wahrlich alles, selbst das, was ihn erwarten würde, war besser als das hier. Geradezu surreal spielte die Musik allmählich vor sich hin, einige der jüngeren Offiziere begaben sich mit ihren Partnerinnen oder auch völlig Fremden auf die Tanzfläche. Irgendein Zinnsoldat, der aussah, als kam er frisch von der Akademie, geschniegelt und gebürstet, baute sich neben Cassio auf und streckte mit stolzgeschwellter Brust seine Hand zur Adjutantin des Admirals aus. Tasha lachte kurz, aber Cassio kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass es mehr aus Verunsicherung kam.
„Nur zu“, sagte der Admiral und entließ Tasha mit einem kurzen Fingerzeig aus Zeige- und Mittelfinger aus seiner Gesellschaft. Der junge Offizier zerrte die beinahe widerwillige Frau fort auf die Tanzfläche und die Lockerheit im Umgang der beiden ließ ihn zu dem Schluss kommen, dass die beiden sich kennen mussten. Nicht allzu interessiert verfolgte er die Unbeholfenheit der beiden, bis er sich abwandte, um etwas im Raum zu suchen. Nun, logisch. Sie konnten feiern. Die Jungen hatten zumindest die Chance, noch lebend aus dieser Sache herauszukommen, selbst wenn dieser Krieg verloren gehen sollte. Die Wichtigen würden hängen, so oder so. Und sie wussten es. Das war wohl der Hauptgrund, warum sie niemals kapitulieren würden. Es würde ihnen schlichtweg nichts bringen. Cassio war einer von ihnen. Und das war es wohl, was am Ende noch vielen der Jungen das Leben kosten würde, die hier und heute ihre Last abzulegen und zu feiern wussten. Herauszögern, nur damit das Unvermeidliche noch ein paar Tage weiter entfernt blieb. Eigentlich ein Trauerspiel, und doch war es so menschlich.

Schließlich bahnte sich Cassio seinen Weg durch die Menge, immer wieder angehalten von dem einen oder anderen älteren Offizier, mit dem er ein paar kurze Sätze wechselte, einige davon durchaus informativ, andere weniger, ehe er sich entschuldigte, weil er – vermeintlich – zum nächsten Offizier musste, ehe er das Ende der losen Gruppe erreicht hatte und bis zu einem etwas abseits an der Wand stehenden Droiden gelangt war.
„Zwei Bakuraner“, sagte Cassio, ohne sich dem Droiden zuzuwenden, den Blick weiter in Richtung der Gäste gerichtet, fast als wolle er diese nicht aus den Augen lassen, sondern als rechne er damit, dass jederzeit irgendetwas passierte.
„Verzeihen Sie, Sir, aber Bakuraner sind derzeit nicht verfügbar.“
Der Admiral hob eine Braue an und zog seine Augen nun doch kurz auf den etwas unförmigen, nur entfernt an einen Humanoiden erinnernden Droiden hinüber. Dessen Rezeptoren nahmen dies zu Recht als die ungestellte Frage auf, die es auch war.
„Ja, Sir. Die letzte Lieferung Bakuraner erreichte uns vor zwei Wochen. Möglicherweise gibt es auf dem Planeten Lieferungsprobleme. Es könnte…“
„Wie bedauerlich“, murmelte Cassio mit einer Prise Sarkasmus. „Etwas Vergleichbares?“
„Natürlich, Sir.“
Einen Augenblick blieb der Droide still, während sich ein Teil seines Brustkorbs öffnete. Einer der mechanischen Greifarme fasste hinein und zog zwei pechschwarze Cigarras mittlerer Größe hinaus.
„Ich vermute, diese dürften Ihnen als Ersatz passend sein, Sir. Sie wurden eigens aus den…“
Cassio nahm bereits die zwei alternativen Cigarras entgegen, schob sie in die Brusttasche neben seinen Codezylindern und ging wortlos an dem für ihn uninteressanten Gebrauchsgegenstand, der der Droide selbst war, vorbei, ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu widmen. Längst war er gelangweilt von der zum Teil penetranten Programmierung, die Droiden im Laufe der Zeit erlangten, wenn ihre KI begann, weiter zu arbeiten, als ursprünglich in ihrem Aufgabenbereich lag. Das war letztlich allen Droiden gemein, deren Arbeit ein Maß an Kreativität und Anpassungsgabe verlangte. Und dadurch dazu führte, dass sie regelmäßig Speicherlöschungen über sich ergehen lassen mussten. Nicht zuletzt deswegen waren ihm beschränkte KIs ohne jede Art von Persönlichkeitsentwicklung lieber. Sie störten nicht. Sie waren eben da. Wie ein Holopad oder ein Turbolift. Nützlichkeit. Nur darum ging es. Das lebende Wesen unterschied sich insoweit nicht von der Maschine, nur die Maßstäbe der Nützlichkeit waren anders. Und wer die ihm zugewiesene Funktion nicht erbrachte, der wurde entsorgt. Es war nur logisch, in gewisser Weise auch überraschend fair. Der Nutzen oder Nichtnutzen waren dadurch messbar, bewertbar. Das Imperium hatte somit gar keinen Platz für Willkür – es tauschte eben nur die Glieder aus, die den vorgeschriebenen Nutzen nicht mehr erbrachten, damit der Motor als solcher nicht zu stottern begann, sondern wie geschmiert lief. Nun, so war es dann eben. Es würde nichts daran ändern, dass der Fahrer Pestage ein Dilettant war und zielgerichtet auf den Abgrund zusteuerte. Derzeit hoffte Cassio nur, ihm zumindest noch rechtzeitig ins Gesicht lachen zu können, wenn dem Alten der Strang um den Hals gelegt wurde, bevor es ihn selbst traf. Das wäre Befriedigung genug.

Mit einem professionellen Nicken trat er für seinen Geschmack ein paar Meter zu nah an Kallice vorbei, gerade im Gespräch mit dem Oberbefehlshaber der Flotte Dharien Thoss. Die beiden schienen ihn für einen Moment lang aufhalten zu wollen, doch Cassio warf ihnen nur so viel Aufmerksamkeit zu, wie es zum Abschluss des Nickens notwendig gewesen war und zog dann zielgerichtet weiter in Richtung Ausgang. Nein. Er konnte Mitleid, ob gespieltes oder echtes, oder Hohn jetzt nicht ertragen. Vaashs Blick hatte bereits genügt. Eine der Wachen direkt an der gewaltigen Doppeltüre trat heran und öffnete das Machwerk direkt vor Cassio, der hindurchging und anschließend die Stufen in flotten Tempo hinuntereilte. Dröhnend schloss sich die Doppeltüre hinter ihm, dämpfte die ehemals lauten Geräusche des Balls. Mit leicht erhöhtem Atem gelangte er von den Stufen aus in die Empfangshalle des Festsaals. Ein Blick durch ein Oberlicht der Halle verriet ihm eine graue Wolkendecke und Regen.
„Mantel“, forderte er den Mann am Empfang auf. Dieser blickte kurz von seinem Datapad auf, das er sich für die Zeit, in der er nichts zu arbeiten hatte, als Beschäftigung bereitgestellt hatte. Einen schnellen, einschätzenden Blick später nahm er einen schwarzen Militärmantel in Cassios Größe von einem der endlosen Bügel hinter ihm hinunter, ehe er auf den Admiral zuging. Der frühere Stabschef nahm aus seiner Brusttasche eine der beiden Cigarras, schob diese in den Mund und entnahm aus der anderen Tasche das kleine Feuerzeug. Vielleicht würde er dieses Laster endlich beseitigen können, wenn er wieder einmal – seit langer, sehr langer Zeit – auf der Brücke eines Raumschiffes stand. Es war vor Yavin gewesen, in einer Zeit, in der so viel noch so richtig gelaufen war. Cassio brummte unterdrückt. Er entfachte das kleine Feuer in seiner Hand und senkte den Kopf hinab, um die Cigarra zu entzünden.
„Sir, es tut mir leid. Sie dürfen hier nicht rauchen. Brandschutzbestimmungen“, sagte der Mann in seinem Rücken, während dieser ihm den Mantel von hinten über die Schultern warf. Cassio hielt inne, die Flamme ein paar Zentimeter entfernt von der Cigarra in seinem Mund, weit genug, diese nicht entzünden zu können.
„Wirklich“, entgegnete er knapp, wartete noch einen Moment und steckte die Cigarra an. Nach einem kräftigen Zug blies er den Rauch mit geschlossenen Augen in die lächerlich großen Hallen, die nun Sate Pestage gehören würden. Pure Heuchelei, von Funktion und Funktionalität zu schwadronieren und dann diese pompöse Arroganz eines Gebäudes zu sehen. Sollte es doch brennen. Er klopfte etwas Asche auf den makellosen Marmorboden, entfernte sich wortlos von dem Empfangsherrn und trat an die archaische Türe heran, die nach draußen an die Parkanlage für Speeder und Fähren führte.

Ehe er die Türe öffnete, blieb er jedoch stehen. Draußen an den Stufen, welche an die Landefläche heranführten, mitten im künstlichen Regen der Hauptstadt saß jemand. Ein Offizier. Cassio konnte nicht sagen, ob die Frau auch auf der Festivität zugegen gewesen war, aber der Schluss lag nahe, nachdem sie ihre große Dienstuniform trug. Der schwere Stoff der Uniform war bereits durchweicht von zahllosen Tropfen des Wolkenteppichs. Zunächst entschied Cassio Kehrt zu machen und stattdessen die Landefläche auf der anderen Seite des Palastes aufzusuchen. Doch ehe er sich umdrehte, erinnerte er sich an das Gesicht der Frau. Nicht aus persönlichem Kontakt, natürlich nicht. Akten. Wie üblich. Nun wusste er dadurch und aus den Gesprächen auf dem Ball aber, dass es sich gerade um die Person handelte, der Cassio unterstellt werden sollte. Der Vizeadmiral konnte sich ein trockenes Lachen kaum verkneifen. Einer Frau, noch dazu jünger als er. Eine eindeutigere Botschaft hätte Pestage einem Offizier der Sternenflotte kaum geben können. Dämmrig drang die Erinnerung an seinen Ausbruch zurück in sein Gedächtnis, als er in seinem Büro Tasha im Zorn vorgeschlagen hatte, dass man Pestage für seine Dreistigkeit an die Wand stellen sollte. Stünde Pestage jetzt dort draußen und hätte Cassio seinen Merr-Sonn… wer weiß. Der Vizeadmiral nahm sich die Cigarra aus dem Mund und hielt sie locker zwischen Mittel- und Zeigefinger. Er ignorierte den skeptischen Blick des Empfangsherrn, der sich weitgehend auf den Glimmstängel richtete.
„Noch einen“, sagte er dann und deutete unruhig in Richtung der Mäntel, erntete dafür einen irritierten Blick. Als er jedoch nicht nachließ, händigte der Mann ihm einen weiteren schwarzen Mantel aus, welchen sich Cassio um den Unterarm warf. Admiral Zen starrte gedankenverloren ins Nichts, schien ihn zunächst nicht zu bemerken, so wenig wie sie den Regen zu bemerken schien, der ihr von nassen Haaren über das Gesicht rann. In ihrer Hand fand Cassio eine nahezu ausgerauchte, simple Zigarette, welche dem Regen zum Trotz weiterglomm. Seine Stiefel kamen unmittelbar neben Zen zum Stillstand, die auf der obersten der Stufen saß. Langsam perlten die ersten Tropfen an seiner Kleidung ab. Mit einem Zupfen nahm er den zweiten Mantel von seinem Unterarm und ließ ihn auf ihre Oberschenkel fallen.
„Das ist mehr von Ihrem Format“, meinte er nur, nickte in Richtung der Zigarette und hielt ihr seine zweite Cigarra hin, die er ursprünglich für später am Abend eingeplant hatte und nun zweckentfremdete. Notfalls holte er sich noch einmal eine. Das Imperium zahlte schließlich. Cassio zog ein Mal an seiner eigenen Cigarra und blickte über die Landefläche, auf der mehrere Lambda-Fähren und einige kleinere Gefährte penibel aufgereiht standen.
„Wie es aussieht, werden wir künftig häufiger das Vergnügen haben“, fuhr er etwas monoton fort, ohne sie anzusehen. Keine Spur von Freude beim Wort Vergnügen, aber auch kein wirklicher Sarkasmus. „Mein Geschwader wird in den nächsten Tagen Ihrem Kommando unterstellt werden.“
Offline
Zitieren
 


Nachrichten in diesem Thema