#19
Irgendwann einmal, mochte sie sich der Frage stellen müssen, was einen Soldaten dazu trieb die eigenen Kameraden so kaltherzig zu töten. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht einmal in den nächsten zwanzig Jahren, aber am Ende holte die Wahrheit die sündigen Seelen dieser Galaxis doch ein, wog ihre guten und schlechten Taten gleichermaßen ab und fällte ein abschließendes Urteil. Eine trostlose Hoffnung, zumindest für jemanden wie sie, der sich nicht einmal daran erinnern mochte, wann die letzte wirklich gute Tat, fern von Eigennutz, fern von der Beeinträchtigung anderer Interessen, begangen wurde. Möglicherweise nie, man mochte meinen, derart wäre im Imperium nicht möglich - eine Annahme aber, die so durchsichtig und zerbrechlich war, wie gesprungener Transparistahl.
Der dunkle, wolkenverhangene Himmel entließ ein zorniges Grummeln, als wäre er sich der Schuldigen auf der Welt dort unten wohl bewusst, doch der Regen, den die Wolken entließen, vermochte die Sünden nicht von der Haut zu waschen. Aber das war ihr nicht wichtig. Daro hatte erwartet Mitleid zu haben, Schuldgefühle, ein Anflug wie auch immer gearteter Schuldgefühle, stattdessen aber fand sich nur Desinteresse. Vielleicht hatte sie gelernt in ihren Kameraden das zu sehen, was das Imperium schon die ganze Zeit sah: entbehrliche Soldaten. Niemand, der es wert wäre, dass man ihm nachtrauert oder gar Tränen vergießt, nein, gewiss nicht. Im besten Falle gab es ein gut geschmücktes Begräbnis und eine für den Moment beeindruckende Andachtsrede - bevor die nächsten Gruften gefüllt wurden. Krieg endete nicht, weil ein Held starb, oder ein guter Freund. Das mochte sie irgendwann einmal, vor vielen, vielen Jahren naiverweise gedacht oder vielmehr gehofft haben, aber die Realität des Militärs wusste solche Fantasien schnell zu durchkreuzen. Es war also egal wer starb, es war so egal warum er starb oder unter welchen Bedingungen: es würde nichts ändern. Nicht für sie, nicht für die Galaxis, nicht für irgendwen. Daro bildete sich ein, ein Gespür dafür zu haben, wie es den Soldaten der alten Republik wohl in den Klonkriegen ergangen sein musste: man begann nach mehreren Wochen im ständigen Einsatz wohl eher den eigenen Tod zu erwarten, anstatt des nächsten Tages. Der derzeitige Krieg war im Prinzip ähnlich - er tobte in dieser Form nur noch nicht lang. Doch nun, wo die Republik die Ressourcen besaß sich gegen das Imperium zu stemmen, wo zahlreiche Abspalter nur darauf warteten, dass sich eine Lücke im Moloch auftat, war es nur eine Frage der Zeit, kurzer Zeit, bis es den nächsten traf, immer weiter die Runde herum, bis niemand mehr stand. Was also machte es aus wer wen erschoss, wo ohnehin niemand mehr ernsthaft erwarten brauchte, auch nur irgendetwas zu überleben?

Der Regen trommelte weiter auf ihre Kleidung ein, deren Stoff die Tropfen inzwischen nicht mehr abperlen ließ, sondern freudig aufsog. Ihr war kalt, sie mochte es nicht zeigen, doch in jenen Momenten, in denen sie kurz vom Glimmstängel, dessen dampfende Spitze dem Regen entschlossen die Stirn bot, bemerkte Daro wie ihre Lippen immer wieder kurz zitterten. Dennoch, sie wollte nicht aufstehen, nicht gehen, was auch immer sie hier erwartete, auf wen auch immer sie wartete. Und doch ging sie auch nicht zurück, nicht wieder dort hinein in diesen Palast, dorthin, wo sich Einfalt mit Dekadenz zu paaren wusste. Sie blinzelte die Wassertropfen aus ihren Augen, die von den Haaransätzen herunterrannen. Abgesehen von ihrer Uniform, wirkte an Daro Zen derzeit nur noch sehr wenig nach einem imperialen Admiral. Vorbeikommende mochten sie wohl eher als eine von "denen da oben" betrachten, eine Prinzessin, die von ihrem frisch gebackenem Akademieprinzen sitzen gelassen wurde, weil eine andere nun doch schöner war und womöglich hoffte ein Teil von ihr sogar, dass einige so dachten. Ironischerweise schien der Großteil der Bevölkerung mehr Mitleid mit jenen zu haben, die Opfer eines unglücklichen Alltagsdramas wurden, als mit jenen, die daran zerbrachen ihre Heime und Häuser vor dem zu schützen, was sich Krieg nannte.
Nicht, dass Daro dieses Mitleid wollte, sie brauchte es nicht, aber sie forderte Verständnis, jemand, der frei vom ideologischen Wahn begriff, was hier geschah, jemand, der erkennen mochte, dass all das hier längst verloren war - es fehlten lediglich die republikanischen Schiffe an Coruscants Theaterhimmel. Einen Moment lang hoffte sie, eines dieser Aufblitzen Lichter am Himmel würde das Ende endlich einläuten. Turbolaserblitze würden gegen den planetaren Schild hämmern und sie würde einfach sitzen bleiben und das Schauspiel genießen, interessiert dabei zusehen, wie das Imperium vergeblich Schiff um Schiff gegen die Invasoren warf, aber letztendlich unterging. Und vielleicht könnte sie sogar sehen, wie die Rebellenschiffe landen würden, einen nach dem anderen zum Galgen führten: Pestage, Isard, Harrsk, Tiggelinus und all die anderen, die sich am meisten vor ihrer Niederlage fürchteten. Natürlich würde sie auch sterben, aber es erschien leichter das Unvermeidbare zu akzeptieren, wenn es mit unerwarteter Wucht über einen hereinbrach, anstatt Tag für Tag um das eigene Leben zu bangen.

Ihre Finger glitten in die Brusttasche der Uniform und tasteten nach der inzwischen klammen Zigarettenschachtel, deren Inhalt sich nicht viel vielversprechender anfühlte. Oder aber es lag schlichtweg daran, dass ihre Hände ebenso sehr vom Regen trieften wie der Rest ihres Körpers. Daros Fingerspitzen kniffen in den Filter und zogen einen weiteren Glimmstängel heraus und platzierten ihn zwischen ihren Lippen. Das spärliche Feuer flackerte wütend im Regen, vermochte allerdings seinen Zweck zu erfüllen. Sie ließ ihr Feuerzeug zurück in die Tasche gleiten und blies den bläulichen Rauchschwall in die feuchte Nachtluft hinein. Wohin also mit Daro Zen, wenn sie wieder nach dort drinnen, noch nach hier draußen gehörte? Keine ganz einfache Frage, nicht einmal für sie. Sicherlich, sie konnte so tun, als wollte sie weg vom Imperium - zugegebenermaßen musste sie sich dafür nicht einmal verstellen, aber der Grund lag weitaus weniger darin, weil es ihr woanders merklich besser gefiel - ein wässriges Argument vielleicht, dass sie nutzte um ihre Entscheidung für Zsinj und gegen das Imperium zu rechtfertigen, aber eigentlich stimmte es nicht. Eigentlich wollte sie nur Sicherheit für sich, es ging nicht um einen großen Vorteil, sie besaß nicht die Ambition einen Krieg gegen die Republik oder sonst wen führen zu wollen, Daro wollte ihren Frieden, ein Stück weit geschützt sein vor dem Rest der Galaxis, der in den Flammen unterzugehen drohte. Der Großmoff mochte dafür die erstbeste Gelegenheit sein, aber nicht zwingend die Beste. Der Krieg endete nicht auf Coruscant, diese Vorstellung fand sie, als Admiralin mehr als absurd. Die Republik würde sich nicht damit begnügen das Imperium zu besiegen und die übrigen Abspalter unangetastet zu lassen. Es mochte eine kurze Ruhephase geben bevor der letzte Vorstoß begann, aber mehr auch nicht. Wohin also gingen Krieger, die genug Krieg gesehen hatten? Eine Frage, auf die sie keine befriedigende Antwort fand, vielleicht nicht einmal finden wollte, einfach, weil sie sich selbst daran hinderte. Irgendwo gefangen zwischen Gewohnheit und Wunsch.

Daro bemerkte lose, das Geräusch näher kommender Schritte, sah sich aber nicht dazu bemüßigt sich extra umzudrehen, auf irgendeine Art anzuzeigen, dass sie Interesse an ihrer Umwelt hätte oder auch nur daran, diese wahrzunehmen - und ebenjene Reaktion erwartete sie für gewöhnlich auch von jenen passiven Störenfrieden, die für gewöhnlich an ihr vorbei schritten. Dieser hatte offenbar anderes im Sinn. Daro Augen blickten weiterhin geradeaus, folgten stur dem Befehl ihres Kopfes, sich nicht um eine andere Person zu kümmern, während andere Teile sich bereits darauf einstellten gleich irgendeine überaus dumme und irrelevante Frage beantworten zu müssen. Stattdessen traf sie etwas weitaus seltsameres, womöglich hätte sie damit rechnen müssen, war aber so weit in ihren Gedanken gewesen, dass es für diesen Augenblick absurd erschienen. Nun, mochte die Galaxis am Abgrund stehen, das zwischenmenschliche Betragen tat es nicht - zumindest noch nicht. Aus ihren Augenwinkeln heraus musterte sie den vermeintlich Unbekannten, dessen Aussehen vertrauter erschien, als ihr lieb war: Cassio Acchetia. Stabschef... ehemaliger Stabschef. Ihr Blick wandte sich wieder aber und fiel erneut in Coruscants Nacht, sie nickte kurz, vielleicht mehr ein Zeichen dafür, dass er als Person wahrgenommen und registriert wurde, weniger für seine aufmerksame Geste. Daro schnippte die beinahe abgerauchte Kippe davon, betrachtete den Flug des glimmenden Stängels wie er über ein Geländer glitt und dann nach unten fiel, ehe sie den Mantel nahm und sich über die Schultern legte.
Eigentlich hatte die Admiralin erwartet, er würde gleich weiter gehen, sie wieder allein lassen, aber er blieb. Ihre Ohren zuckten kurz bei seinen Worten, schienen sich aber nicht mit deren Inhalt befassen zu wollen. Womöglich weil sie wusste, dass es nicht stimmte, weil es von ihrem Standpunkt aus, wie Sarkasmus klang - auch wenn er es nicht betonte. Acchetia kannte ihr Format nicht - und das mochte gut so sein. Aber die Wahrheit zu kennen, nur im mit einer Lüge gefüttert zu werden, konnte so viel bitterer schmecken. Dennoch nahm sie das Angebot an, tastete mit ihren kalten Fingern nach der Cigarra und platzierte das erlesene Genussmittel zwischen ihren zitternden Lippen, ehe sich das Feuerzeug erneut gegen den Regen behaupten musste. Sie wartete weiter ab, tat bewusst oder unbewusst so, wie interessant Coruscant im Vergleich zu Cassio Acchetia sein konnte, während sie ihm doch zuhörte. Da war er also schon: der Ersatz. Wie vortrefflich das Imperium doch zu arbeiten wusste. Es wusste nicht einmal jemand, dass ein Teilchen fehlte und schon schickte man ihr ein Neues. Oder auch nicht. Daro zählte die simple Gleichung in ihrem Kopf zusammen. Eriadu, Acchetia, Pestage. Das war es. Es ging gar nicht um sie, nicht direkt, sie war nur eine nette Spielfigur für Pestage, ein Objekt der Demütigung für... nun, für so jemanden wie Acchetia. Zumindest schien es Pestage zu denken. Daro blies den Rauch aus und bewegte den Kopf leicht, ein sachtes Nicken, ein Zeichen dafür, dass sie es verstanden und akzeptiert hat, vielleicht sogar so, dass es ihm zeigte, dass es für sie keine Rolle spielte, es eigentlich nicht einmal interessierte.
Irgendwo in Coruscants nichtssagendem Lichtermeer fand sie es schließlich, eine Leuchtreklame, groß genug um nicht übersehen zu werden, das typische Werbebanner für die Sternenflotte. Mehr oder Minder also das Fließband, dass die Kälber zur Schlachtbank trieb. In kräftigen Neonfarben waren die prestigeträchtigen Sternenzerstörer ausgeleuchtet, während ein kurzer Werbeslogan die vermeintliche Raumfahrerromantik vorgaukelte. Sie nickte in Richtung des Schildes, ehe sie einen Arm ausstreckte, an dem die durchnässte Uniform klebte. "Schauen Sie mal, Acchetia, das Plakat.'Bringen Sie der Galaxis Ordnung und Sicherheit zurück! Erkunden Sie fremde Welten! Werden Sie Teil der imperialen Sternenflotte!'", las Daro den Aruabesh-Schriftzug vor, wobei nicht klar zu erkennen war, ob das Amüsement in ihrer Stimme aus einem gewissen Sarkasmus herrührte oder aus nostalgischer Erinnerung. "Haben Sie je daran geglaubt? Je einen Gedanken daran verschwendet wie viele Akademiefrischlinge, für diesen Spruch zu sterben bereit sind?" Daros Augen hingen weiter am Plakat, aber sie formulierte ihre Frage ruhig. Es war kein Vorwurf, mehr ein neugieriges Interesse, wie sie zurückdachte an das erste Mal, dass sie dieses Plakat erblickte.
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