#6
Die junge Frau löste sich aus ihrer Starre und als wäre ein Bann gebrochen, fielen Staub und Steine wieder zurück auf den Boden. Der unsichtbare Sturm, der die machtbegabte Togruta umgeben hatte, legte sich. Doch noch immer war sie aufgewühlt und konnte – oder wollte – das Geschehene nicht begreifen. „Es geht nicht um das, was du getan oder nicht getan hast“, erklärte Ald‘ana mit Frost in der Stimme. „Nur darum, was du bist. Du bist keiner von ihnen.“ Ihr unerwarteter Schützling überprüfte, ob der Händler noch am Leben war und erkannte mit widerstrebenden Gefühlen, dass er wieder zu sich kommen würde. Es wäre kein Verlust gewesen, dachte die Twi’lek und bewegte die Finger ihrer linken Hand. Dieses Mal, ohne Macht hineinfließen zu lassen, während sie ihre übernatürlichen Sinne ausstreckte. Nun war sie es selbst, die Wellen über den Marktplatz schlug. Was sie getan hatte, ließ verschreckte Bürger davoneilen, um Abstand zu der widernatürlichen Gestalt zu gewinnen, und lockte dafür andere Personen an. Auch wenn sich diese erst einen Weg durch die Menge bahnen mussten.
Ihre Zeit wurde knapp. Die Sith hatte mehr Aufmerksamkeit erregt, als sie ursprünglich beabsichtigt hatte, doch sie bereute ihre Taten nicht. Es hatte sich gut angefühlt, den pöbelnden Mob in seine Schranken zu weisen. „Ich habe diesem Mann eine Lektion erteilt und vielleicht habe ich durch mein Handeln sogar Schlimmeres verhindern können“, sagte Rifta mit vollkommener Selbstverständlichkeit und begegnete dem Blick der Togruta, die mit sich zu ringen schien. „Ich werde dir bereitwillig etwas über mich verraten – und über dich selbst. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Erklärungen.“ Eine hektische Bewegung in der Menge überlagerte sich mit ihrer Wahrnehmung in der Macht. Sicherheitskräfte waren unterwegs, um den Verursacher des Tumults ausfindig zu machen. Auch die Togruta hatte die Menschen bemerkt und wurde wieder unruhig. „Komm mit mir. Du willst nicht erleben, was passiert, wenn das Imperium dich für den Verantwortlichen hält.“ Natürlich war die Twi’lek nicht ganz unschuldig daran, doch diente es hoffentlich als weiterer Ansporn, der dunkel gekleideten Frau zu folgen.

Rifta wandte sich um und verschwand in der Straße, aus der sie gekommen war. Sie schaute nicht danach, ob die Togruta ihr folgte, doch ihre geistigen Fühler waren in ihre Richtung ausgestreckt und ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr verdecktes Gesicht, als sie die Machtsensitive hinter sich wahrnahm. Eilenden Schrittes bog sie in die nächste Seitenstraße ab und verlor sich zusammen mit der Togruta in einem Gewirr aus Gassen, die teilweise durch Müll und Transportkisten versperrt waren. Abseits der glanzvollen Hauptstraßen fielen teilweise lange Schatten auf die terrassenförmige Stadt, welche die Sith in ihrer schwarzen Robe geradezu verschluckten. Nur die Togruta war weiterhin ein Leuchtfeuer, aber auch das würde Ald’ana zu ändern wissen. Auf einer Wäscheleine, die zwischen zwei Häusern gespannt war, trockneten mehrere Wäschestücke in der warmen Luft, darunter auch ein einfacher Überwurf. Die Twi’lek hob den Arm, drehte einmal das Handgelenk und ließ das Kleidungstück mit einem Ruck zu ihrer Begleiterin segeln. „Zieh das an, damit man deine Lekku nicht sieht.“
Auf ihrem Weg beschloss die Sith, in eine der abgeschotteten Gassen abzubiegen und sich dort einen Ort zum Verweilen zu suchen. Statt über einen niedrigen Kistenstapel zu klettern, nahm sie ganz bewusst die Macht zur Hilfe, um mit einem einfachen Sprung auf der anderen Seite zu landen. Sie wollte ihre Kräfte demonstrieren, um die Togruta neugierig zu machen und ihr anzubieten, dass sie genau das gleiche erlernen konnte. Die Worte der jungen Frau hatten sie darin bestätigt, dass sie in der Tat noch keine Ausbildung genossen hatte – geschweige denn wusste, was ihre Begabung war. Schließlich verlangsamte Ald‘ana ihre Schritte und lenkte sie zu einem leer stehenden Gebäude, das wohl einmal als Ladenfläche genutzt worden war, aber sich durch die Abgeschiedenheit zum Stadtzentrum nicht wirklich rentiert hatte. Ein verblassender Geruch von Duftstoffen vermischte sich mit abgestandener Luft, die jedoch keinen Hauch von Verwesung in sich trug. Man hatte diesen Ort einfach aufgegeben und seither hatte sich niemand mehr um ihn gekümmert. Abgesehen von dem hereingewehten Staub befanden sich nur ein einfacher Tresen und einige in der Ecke gestapelte Sitzgruppen im Raum. Der Eingang war nur durch einen Vorhang aus Stofffetzen gesichert, der auch schon einmal bessere Tage gesehen hatte. Ein vergilbtes und zum Teil abgeblättertes Schild in Aurebesh verriet, dass es sich hier wohl einmal um ein Teehaus gehandelt hatte. Vermutlich hatte man hier etwas Besonderes anbieten wollen – abseits der üblichen Touristenstrecken. Doch dieser Plan hatte sich entweder im wahrsten Sinne nicht ausgezahlt oder den Besitzern war etwas anderes zugestoßen.

Hier wagte es die Twi’lek endlich, innezuhalten und ihre weite Kapuze in einer großen Geste zurückzuschlagen, damit die Togruta ihr Gesicht sehen konnte. Sie lächelte die junge Frau in einer Mischung aus Nachsicht und Vorahnung an. „Mein Name … ist Rifta.“ Trotz ihres kurzen Zögerns ging er ihr so leicht von der Zunge, als hätte er schon immer ihr gehört. Diese Identität war es, welche die Togruta kennenlernen sollte. Die Sith, die solch wundersame Kräfte besaß und sie lehren konnte. Nicht die Sklavin von Ryloth, die in dieser neuen Welt keinen Platz mehr hatte. „Was du gesehen hast, war ein Wirken der Macht. Eine unsichtbare Kraft, die mich zu dir geführt hat. Ich konnte deine Angst und deinen Zorn auf diese Menschen spüren.“ Wie sehr sich diese Begegnung doch von ihrem eigenen ersten Zusammentreffen mit Renata June unterschied. Und doch würde auch die Togruta keine andere Wahl haben, als sich ihr anzuschließen. „Es gibt nur wenige, die in der Lage sind, die Macht zu benutzen und nach ihrem Willen zu lenken.“ Sie hob ihre Hand, ließ ihre Finger spielen und streckte sie dann in Richtung der jungen Frau. „Doch du“, hauchte sie mit gekünstelter Überraschung und ehrlicher Begeisterung, „du besitzt diese Gabe ebenfalls. So konnte ich dich finden.“ Eine süße Lüge für eine noch süßere Wahrheit.
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